TQW Magazin
Lina Morawetz über testing grounds von Karin Pauer und Katrin Hornek

Testing the Ground

 

Testing the Ground

Im Wesentlichen lernt jeder Mensch das Gehen allein, sagte Steve Paxton, der kürzlich verstorbene Erfinder der Contact Improvisation. Weshalb hat sich der Mensch überhaupt aufgerichtet? Die Menschen haben sich erhoben, um die Hände frei zu haben. Die vier Menschen, die im schwarzen White Cube der Secession in der Performance von Karin Pauer tanzen (Martina de Dominicis, Cat Jimenez, Mani Obeya, Karin Pauer), halten sich die Arme schützend vor die Augen. Sie blicken hoch, sie halten die Hände vors Gesicht. Sie treten einzeln auf. Eins, zwei, drei, vier. Sie tragen grüne, schwarze und weiße Hosen, schwarze, blaue und schwarz-weiße Hemden. Sie treten einzeln wieder ab: vier, drei, zwei, eins.

Der Garten ist verwüstet. Die Verwüstung hat vielfältige Orte und Formen. Die Schildkröten tragen die Kernspaltung in den Panzern, den Menschen ist sie in die Knochen gekrochen. Es wäre ein Traum, hier zu rufen: Aber ein Kern, ein Kern ist doch auch ein Same, eine Saat, Saatgut.

Der Boden ist aus schwarzem Gummi, die Wände sind weiß gestrichen, in den Ecken bröckelt weißer Marmorkies. An der gläsernen Decke schweben große schwarze Muster aus Atomtest-Partikeln, die wirken, als würden sie wie radioaktiver Niederschlag bald sanft und tödlich in den Raum herunterwehen. Sie erinnern auch an Mikroorganismen, jene vielförmigen Wesen, die im Dunkel der Bodenerde (wenn sie gesund ist) dafür sorgen, dass dieser Planet zusammenhält. Die Muster und die Quadrate des Glasdachs spiegeln sich in der schwarzen Wasseroberfläche von flachen Bodenskulpturen. Ein Versuchsfeld im Angesicht von „hydrogen bombs exist“ und von „there’s no more to say; we ensure that the harm is as great as it can be“.[1] Diesem Chiaroscuro (chiaro: hell, scuro: dunkel) ist nicht zu entkommen … The water remains still and shining like a dark mirror. Man gibt dem Planeten die Form eines Grabs.[2] Was bedeutet es, etwas Nicht-Frontales zu versuchen, eine Berührung mit der Geschichte der planetarischen Kontamination herzustellen? Die Künstlerin Katrin Hornek hat im White Cube ein abstraktes Denkbild gestaltet für den „unzerstörbaren Abfall unserer glorreichen Aufbauarbeit“ (Vilém Flusser), für eine … concrete reality, grasses abnormally tall, animals born with one eye.

Die Suche und die Versuche der Körper, miteinander zu reden, eine Sprache zu finden, sich zu binden, dauert drei Stunden lang oder die kommenden dreitausend Jahre. Dann beginnt ein Arm zu zittern und über das ruhige schwarze Wasser am Boden zu streifen, ohne es zu berühren. Die, die tanzen, scheinen zu wissen, dass es nichts mehr zu sagen gibt, weshalb sie miteinander singen. Sie singen: „There will be no songs to sing.“ In der Stille danach ist ein metallenes Geräusch zu hören, eine Art Tropfen, ein scharfes Klicken, ein Auslöser? Ein Widerhall, laut, lauter (Sound: Zosia Hołubowska). Der Garten ist verwüstet, und die Verwüstung wird neue Formen finden, Körper. Die Tanzenden bewegen sich rückwärts durch den schwarz-weißen Raum. Vier, drei, zwei, eins. Sie sind aufgestanden. Sie heben den Blick unter dem anschwellenden Gemurmel unzähliger kleiner Schildkröten (weiche und schwere Körper aus Beton, Polyurethan, Latex) … A man jumps into the atomic crater, the water swallows him and remains still and shining like a dark mirror. Die, die tanzen, tragen alle die gleichen Schuhe.

Was bedeutet es, zu testen? Was bedeutet es, zu tanzen? Sie gehen einzeln hinaus: vier, drei, zwei, eins. Der letzte Mensch tritt mit einem Solo ab. Er bewegt sich rückwärts, langsam, den Blick gehoben, als suche er die Tropfen, die zu hören sind; nicht um etwas zu behalten, sondern um etwas zu fühlen. Die vier, die tanzen, haben sich noch einmal aufgerichtet, aber nicht um die Hände zu heben sondern um in die Erde zu fassen. Die tanzenden Körper bearbeiten wie besessen mit bloßen Händen den toten Gummiboden, die Augen geschlossen, umgeben von Dröhnen, Dunkel und Licht, um heftig atmend etwas Unbegreifliches zu finden.[3]

Kein Testfeld, um zu behalten. Ein Versuchsfeld, um zu fühlen. Die Hände in der Erde sind Verbindungen zu anderen Zeiten. Die Hände der Künstlerin in der Erde am Wiener Karlsplatz haben dort die Asche von Atomtests berührt, Bikini-Atoll 1946. Die Erde ist kontaminiert. „Es ist auf Dauer zu mühsam, um das Nichts herum zu gehen, das wir geschaffen haben, gehen wir halt hinein!“[4]

 

 

Lina Leonore Morawetz, geboren 1981, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin in Wien.

 

[1] Inger Christensen 1981 in ihrem Langgedicht alphabet.
[2] „Ein Buch ist ungefähr rund. Aber weil es sich, um zu erscheinen, an ein rechteckiges Parallelepiped anpassen muss zerschneidet man irgendwann die Kugel, plättet sie, macht sie rechteckig. Man gibt dem Planeten die Form eines Grabs. Dem Buch bleibt nur noch die Wiederauferstehung abzuwarten.“ Hélène Cixous, Gespräch mit dem Esel. Blind schreiben, Wien 2017.
[3] Sie schrauben irgendetwas fest (vielleicht sich selbst), es dröhnt, sie arbeiten, nutzen sich ab.
[4] Elfriede Jelinek, Die Kinder der Toten, Hamburg 1995.

 
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